Navigation auf uzh.ch

Suche

Zurich Center for Integrative Human Physiology (ZIHP)

COVID-19: Warum die Perspektive der Evolutionsmedizin wertvoll ist

Die Reaktion der Menschen auf Gefahr ist voraussehbar. Das Wissen um unsere Evolution hilft, die Bevölkerung bei der Krisenbewältigung zu begleiten, sagt ZIHP Mitglied Prof. Frank Rühli.

 

Frank Rühli

 

Portrait Rühli
Zoom
«Die öffentliche Stimme von
Wissenschaftler*innen, welche neuartige Einsichten liefern, ist enorm wichtig». Prof. Frank Rühli ist ZIHP-Mitglied und Leiter des Instituts für Evolutionäre Medizin der Universität Zürich.

 

Unsere Gesellschaft wird aktuell durch die Corona-Krise global fundamental erschüttert und der Mensch kommt dabei unter Druck. In solchen Situationen  tendieren wir dazu, impulsiv und ohne zu überlegen zu handeln, was in den zum Teil
leergekauften Lebensmittelgestellen sichtbar wird. Warum ist das aber so? Um besser verstehen zu können, was abläuft, aber auch um für zukünftige Pandemien gerüstet zu sein, ist es sinnvoll, in die Vergangenheit zu blicken und aus unserer Geschichte und Evolution wissenschaftlich zu lernen.

Menschliche Reaktionen sind evolutionsmedizinisch erklärbar

Die Reaktion des Menschen auf Veränderungen und Gefahren ist zu einem grossen Teil voraussehbar und planbar. Denn obwohl  unser Verhalten grundsätzlich stark kulturell geprägt ist, gibt es Grundmuster, welche direkt evolutionär erklärbar sind. Bekannt sind die klassischen zeitlich kurzfristigen «flight or fight»-Muster, die dem unmittelbaren Überleben in Gefahrsituationen dienen und von W.B. Cannon (1871-1945) beschrieben wurden. Die Reaktionsmuster, die während der vergangenen und der aktuellen Pandemien in allen Kulturkreisen  beobachtet werden konnten, gehen über solch ganz kurzfristige Reaktionen hinaus. Die Verhaltens-Bandbreite reicht dabei vom Verharmlosen oder Verdrängen der Situation bis zu extrem panischem und egoistischem Handeln, wie das Hamstern oder sogar Entwenden von wichtigen medizinischen Produkten. Auch dieses extremes Verhalten ist evolutionär erklärbar, denn es kann durchaus mal eine Situation geben, in der es einen Überlebensvorteil beinhaltet.

Doch diese beiden Reaktionsarten sind nicht nur unsolidarisch, sondern auch gefährlich, weil sie unter Umständen das Leben von anderen Menschen gefährden. Um das dargelegte auch irrationale Verhalten in Notlagen zu entschärfen, ist eine gute Krisenkommunikation enorm wichtig. Aus evolutionärer Sicht sollte dabei berücksichtigt werden, dass besonders der «unbewusste » Anteil der Kommunikation mitberücksichtigt werden muss. Man soll sich stets fragen: Was löse ich für Emotionen aus? Für die Krisenbewältigung braucht es ein überzeugendes Krisenmanagement, welches sicherstellt, dass die Bevölkerung rational und emotional bereit ist, unpopuläre aber präventivmedizinisch wichtige Anordnungen Folge zu leisten. Dies scheint mir in der Schweiz aktuell relativ gut zu funktionieren. Doch bin ich überzeugt, dass die Krise eventuell noch besser und effizienter bewältigt werden könnte, wenn die evolutionsmedizinische Kompetenz stärker - zum Beispiel im Rahmen von Task Forces - einbezogen würde. Das Wissen um unsere Geschichte aber auch um unsere Evolution bringt zusätzliche Einsichten und Problemlösungen.

Co-Evolution von Mensch und Erreger

Desweiteren ist die öffentliche Stimme von Wissenschaftlern, welche neuartige Einsichten liefern, in solchen Zeiten wichtig. Ein Aspekt, der bis jetzt zum Beispiel
wenig thematisiert wird, ist die Tatsache, dass die umfassenden globalen  Massnahmen die Co-Evolution von Mensch und Erreger beeinflussen. Wie wird sich die Pathogenität des Erregers - das heisst dessen Fähigkeit, krank zu machen - unter diesen Umständen entwickeln und wie hätte es sich ohne Massnahmen entwickelt? Wie entwickelt sich die Immunität in der Bevölkerung, wenn die Menschen durch die Massnahmen weniger häufig oder zeitlich verzögert dem Erreger ausgesetzt sind? Was muss bei der Entwicklung von Therapien beachtet werden? Möglichst viele humanphysiologischen Aspekte von Krisen zu analysieren wäre nun eine enorm wichtige Forschungsaufgabe. Deswegen muss in meinen Augen aktuell relevante Forschung unbürokratisch rasch und finanziell grosszügig unterstützt werden, beispielsweise mittels notfallmässiger Forschungskrediten. So wären wir für diese aber auch vor allem für eine nächste Welle dieses oder eines anderen Erregers besser vorbereitet.


Der Ursprung und weitere Verlauf der COVID-19 Pandemie ist noch unbekannt, daher entsprechen die hier gemachten Aussagen nur dem aktuellen Wissensstand (14.4.2020).

Siehe auch: Rühli F., Vor dem Virus sind wir noch immer Jäger und Sammler, Neue Zürcher Zeitung, 11.3.2020.

 

Artikel als pdf herunterladen (PDF, 362 KB)

 

 

Kommentar schreiben

Die Redaktion behält sich vor, Kommentare nicht zu publizieren. Unberücksichtigt bleiben insbesondere anonyme, ehrverletzende, rassistische, sexistische, unsachliche oder themenfremde Kommentare sowie Beiträge mit Werbeinhalten.

Maximal 100 Zeichen

Weiterführende Informationen

Logo Coronavirus und Gesellschaft

Coronavirus und Gesellschaft

Anmeldung zum Corona-Newsletter

Möchten Sie regelmässig alle Berichte zum Thema "Coronavirus und Gesellschaft" erhalten? Melden Sie sich hier an. 

Spendenaufruf UZH Foundation

Forschung ist wichtiger denn je. Deswegen hat auch die UZH  zahlreiche Covid-19-Studien am Start. Um diese beschleunigt zu realisieren, benötigt die UZH Foundation zusätzlich private Mittel. Deswegen wurde eine öffentliche Spendenkampagne gestartet, damit Mitbürgerinnen und Mitbürger die Covid-19-Forschung unterstützen können.